PREDIGT VON GIUSEPPE GUERRINI, Bischof von Saluzzo Ich glaube, dass man die Erfahrung dieses „Festes des Lebens” am besten mit den Worten ausdrücken kann, die sich ganz am Anfang des Evangeliums finden: „Sie kamen bei Jesus zusammen und berichteten ihm alles, was sie getan hatten.” Diese Tage sind auf jeden Fall ein Sich-Versammeln um Jesus, um sein Wort, um die Eucharistie; wir haben uns versammelt, um seine Vergebung zu empfangen, um das Wort seiner Zeugen zu hören, und um ihn zu loben und ihm zu danken, denn er ist die Quelle des Lebens. Wir wollen nun diese Erfahrung abschließen, indem wir uns erneut um Jesus versammeln, sein Wort anhören und durch ihn in der Feier der Eucharistie dem Vater Dank sagen. Versammelt um Jesus, was sagt mir Jesus vom Vater? Das erste was Jesus mir sagt (und er sagt es mit seinem ganzen Verhalten und mit seinem ganzen Leben), ist in dem einen Satz zusammengefasst: „Als er aus dem Boot gestiegen war, sah er eine große Menschenmenge. Und er hatte Mitleid mit ihnen, denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben“: Er hatte Mitleid. Auf Griechisch – in dieser Sprache hat Markus sein Evangelium geschrieben – wird dieses Wort mit einem Begriff ausgedrückt, den es im klassischen Griechisch nicht gibt, sondern nur im neutestamentlichen Griechisch. Es ist ein Wort, das gebildet wird aus dem Wort „Eingeweide”/„Inneres“. Also war dieses Mitleid ein Bewegt-Sein in der Tiefe, eine innige, mütterliche Liebe voll Zärtlichkeit und Feingefühl. Wer zu Jesus kommt, macht zuerst diese Erfahrung: Gott ist Vater, Gott ist Mutter der Zärtlichkeit. In Gott ist diese innige Liebe, diese Aufmerksamkeit, die Gott für die Seinen hat: „Kommt und ruht ein wenig aus“ und ein wenig später heißt es im selben Abschnitt: „Gebt ihr ihnen zu essen.“ In der ersten Lesung aus dem Propheten Jeremia haben wir gehört: „Ich selbst will meine Schafe sammeln und werde sie auf ihre Weide zurückführen; sie müssen sich nie mehr fürchten und werden sich nicht mehr erschrecken; und keines von ihnen geht verloren.“ Die erste Erfahrung ist ein Akt des Glaubens: Glauben an die innige Liebe Gottes. Wir können daran glauben, weil wir dieser Liebe in Jesus Christus begegnet sind. Im Musical, das gestern Abend auf ganz beeindruckende Weise dargestellt wurde, wird diese Liebe sichtbar, angefangen bei der Schöpfung bis hin zur Auferstehung Jesu. Dies ist die Liebe, die wir in der Eucharistie feiern, dies ist die Liebe, der wir gedenken: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir; und deine Auferstehung preisen wir.“ Das Evangelium ist die Bekräftigung, die Verkündigung der Liebe zum Menschen, zu jedem Menschen und zur ganzen Menschheit; und wir glauben, dass dies der Beweggrund unserer Hoffnung ist. Denken wir an den Abschnitt aus dem Römerbrief, den wir am Freitag gehört haben. Dort heißt es: „Wenn Gott für uns ist, wer ist dann gegen uns? Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ Und kurz darauf heißt es weiter: „Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“ Ich möchte ferner ein Wort aus der zweiten Lesung hervorheben, aus dem Brief des Apostels Paulus an die Epheser: Das Wort „Mauer.“ Die Mauer ist ein Hindernis, ist etwas, das teilt. Im Tempel in Jerusalem gab es eine Mauer, die den „Hof der Heiden“ – der für alle zugänglich war – von dem Teil trennte, der den Juden vorbehalten war. In dieser Stelle sagt der heilige Paulus, dass „Christus Jesus diese trennende Wand niedergerissen hat, indem er die Trennungsmauer – das ist die Feindschaft (zwischen Juden und Heiden) – zerstört hat.“ Seht also die zweite große Lehre: Die Liebe Gottes, die innige Liebe Gottes reißt die Mauern ein, die Mauen der Nichtbeteiligung, der Gleichgültigkeit, des Misstrauens und der Angst. „Barmherzigkeit und Wahrheit begegnen sich”: Barmherzigkeit – das ist die innige Liebe Gottes – und Wahrheit begegnen sich, Gerechtigkeit und Friede küssen sich. Dieser Satz aus den Psalmen – das Leitwort des diesjährigen Festes des Lebens – hat sich verwirklicht in Jesus Christus. Sich begegnen und zu küssen ist das Gegenteil von Sich-Trennen und Sich-Entzweien. Die Mauer im Tempel, die Juden und Heiden trennte erschien unüberwindlich: Das Überschreiten dieser Mauer wurde mit dem Tod bestraft. So wie viele Mauern zwischen den Völkern eingestürzt sind, sind sie auch in den Herzen eingestürzt und in den Familien; aber wir wissen auch, dass neue Mauern wachsen. Hier vor unseren Augen sehen wir viele Landesflaggen, eine neben der anderen, die viele verschiedene Völker und Nationen repräsentieren. Wenn ich aber eine einzelne herausgreife und sie zum einzigen Bezugspunkt meines Lebens mache, dann kann diese Flagge, die hier ein Zeichen der Einheit, des Miteinanders und der Anteilnahme ist, dann kann sie zum Zeichen der Trennung werden und – wie in der Geschichte tausendfach geschehen – zum Zeichen des Todes. Mir scheint, dass es die Berufung von Cenacolo ist, die Worte zu entfalten, die „Begegnung“ bedeuten: kennen, verstehen, annehmen, helfen, stützen, wertschätzen, umarmen, küssen, gern haben. Wir wissen aber auch um die Versuchung, die von anderen Verben ausgeht, wie argwöhnen, misstrauen, sich distanzieren, sich verteidigen, sich bewaffnen, angreifen… Wir sind hierhergekommen, um den Hauch der Zärtlichkeit Gottes zu spüren, um die innige Liebe Gottes zu erfahren; und wenn wir von hier weggehen, haben wir die Aufgabe, allen weiterzusagen, dass die Liebe Gottes, die Er uns in Jesus Christus geschenkt hat, und die wir hier feiern, dass diese Liebe wahr ist! Es ist nicht bloß ein Daherreden, sondern es ist wirklich, authentisch, weil wir die Liebe hier sehen, erfahren und berühren. Unsere Aufgabe ist es zu bezeugen, dass Barmherzigkeit und Wahrheit sich begegnet sind, dass Gerechtigkeit und Friede sich geküsst haben. Bitten wir um die Kraft aus dem Wort, bitten wir um die Kraft des Geistes der Wahrheit, bitten wir um die Kraft des Lebensbrotes, damit wir diese Berufung – trotz aller Schwierigkeiten – durch Entschiedenheit und Ausdauer verwirklichen können.
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