Predigt im Petersdom Kardinal Christoph Schönborn 6. April 2008
Apg 2,14.22-33 1 Petr 1, 17-21 Lk 24, 13-35
Lieb Brüder und Schwestern! „Misericordias in aeternum cantabo“. „Das Erbarmen des Herrn will ich in Ewigkeit preisen“. Mit diesen Worten des Psalms (Ps 89,2) haben wir diese gnadenreichen Tage begonnen. Mit der Eucharistiefeier am Grab des Apostels Petrus dürfen wir sie beschließen. Die meisten von uns werden heute oder morgen wieder in ihre Länder zurückkehren. Mögen wir alle so heimkehren wie die Jünger aus Emmaus: „Brannte uns nicht das Herz in der Brust, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift erschloss?“ Möge unser Herz brennen von der Liebe Christi, die uns in so wunderbarer Weise in diesen Tagen geschenkt wurde. Mögen wir mit dem Freimut unseres Glaubens bezeugen, mit dem Petrus am Pfingsttag den Menschen aus allen Ländern in Jerusalem bezeugt hat (1. Lesung), dass Jesus auferstanden ist. Mögen wir alle „Zeugen der Barmherzigkeit“ sein, wie der Diener Gottes Papst Johannes Paul II. es von Lagiewniki aus allen Gläubigen als Auftrag mitgegeben hat. Zeugen der Barmherzigkeit im Alltag unseres Lebens zu sein, das ist der Auftrag, den wir von diesen Tagen mitnehmen. Zeugen der Barmherzigkeit können wir nur sein, wenn wir selber die Barmherzigkeit erfahren haben. Diese Tage sollen uns darin bestärken, uns dazu die Kraft geben. Die Kraft dazu kommt nicht von uns, sondern vom Herrn. Sein Erbarmen müssen wir kennen, um es zu bezeugen. Es fügt sich schön, dass wir heute nochmals das Osterevangelium vom Weg nach Emmaus hören dürfen. Die beiden Jünger Jesu haben auf dem Weg das Erbarmen des Herrn erfahren, und so konnten sie Seine Zeugen werden. Wer waren die beiden, die da traurig von Jerusalem weggingen? Der eine hieß Kleopas. Nach einer alten Tradition war er der Bruder des heiligen Joseph, also der Schwager Mariens, der „Onkel“ Jesu. Diese Tradition sagt, der andere sei sein Sohn Simeon gewesen, also der Cousin Jesu, der später, nach dem „Herrenbruder“ Jakobus, Bischof von Jerusalem wurde. Wie dem auch sei, ob es nur Verwandte Jesu „dem Fleische nach“ waren, sicher ist, dass ihre Erwartung an Jesus (ihren Verwandten) zu „fleischlich“, zu irdisch waren. Sie sahen Jesus und sein Geschick noch zu sehr mit „irdischen“ Augen, mit irdischen Wünschen und Vorstellungen. Denn ihre Enttäuschung über den Tod ihres Meisters kam aus ihrem Unverständnis. Es fehlte ihnen noch „der Sinn Christi“ (vgl. Phil 2,5). Noch war ihr ganzes Denken „ungeformt“, hatte noch nicht die Prägung Christi erhalten. Noch hofften sie, ihr Meister Jesus würde eine politische, weltliche Befreiung bringen: „Wir hatten gehofft, dass er es sei, der Israel erlösen werde (Lk 24,21). Wie die Zebedäussöhne wollten sie wohl die „guten Posten“ im Reich Jesu haben, wollten eine sichtbare Befreiung Israels vom Joch der römischen Fremdherrschaft. Wie sehr können wir mitfühlen mit ihrer Enttäuschung. Auch wir wünschen uns oft ein siegreiches Christentum, einen greifbaren Erfolg, eine weltliche Herrschaft des Christentums. Und damit wünschen wir uns etwas Gutes und Schönes, dass der christliche Glaube die Politik, die Wirtschaft, „den öffentlichen Platz der Medien“ bestimmen. Wir glauben, dass dies für unsere Länder ein Segen wäre. Doch allzu oft sieht es oft ganz anders aus. Machtmissbrauch, Korruption, wirtschaftliche Interessen beherrschen viele Länder. Die Armen leiden, das Unrecht herrscht, die soziale Gerechtigkeit wird schwer verletzt. Schaut Gott zu? Ist seine Gerechtigkeit ohnmächtig? Warum all das Leid? Wo ist Sein starker Arm, der den Armen aus dem Staub emporhebt? (vgl. Lk 1, 51-54). So gibt es auch heute viele Enttäuschte. Sie gehen weg von Jerusalem, weg von Christus und seiner Gemeinschaft, der Kirche. Sie suchen ein anderes Zuhause als die Gemeinschaft mit Jesus. Und vor allem: sie können in Jesus nur einen Propheten sehen, er war ein Prophet, der „mächtig war in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk“ (Lk 24,19), nur war er doch nur ein Prophet, und nicht der Messias, Christus, der Sohn Gottes. Vielen geht es heute so, dass sie in Jesus nur einen Propheten sehen können, einen besonderen Menschen, nicht aber Gott, der Mensch geworden ist. Wie schwer fällt es uns, zu glauben! Jesu geduldiger Vorwurf trifft auch uns. Wie lange brauchen wir, um zu begreifen, dass „der Messias, Christus, das alles leiden muss, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen“ (Lk 24,26). Ja, es fällt uns schwer, zu seinem Leiden und zu unserem Leiden „Ja“ zu sagen. Es fällt uns schwer, anzunehmen, dass das der Weg der Weisheit Gottes ist, dass Seine Barmherzigkeit uns im Kreuz geschenkt wird. Und nun begann diese wunderbare Stunde, in der Jesus den beiden traurigen Jüngern die Heilige Schrift erschloss. Schritt für Schritt zeigte er ihnen, wie die Tora, wie Moses und die Propheten, über ihn geschrieben haben. Wie sie Seinen Weg vorausgezeichnet haben. Langsam enthüllte sich ihren Herzen und ihrem Verstand die Heilige Schrift, und sie begann deutlich zu ihnen von Jesus zu sprechen. Liebe Brüder und Schwestern! Diese erste „Bibelstunde“ ist für uns Modell und Wegweisung. Jesu Erbarmen mit den beiden Enttäuschten zeigt sich zuerst darin, dass er sie mit dem Wort Gottes nährt. Die Liebe zur Heiligen Schrift, zum Wort Gottes, ist daher der Weg, auf dem uns Jesu Barmherzigkeit zuerst begegnet. „Die Schriften nicht kennen, heißt Christus nicht kennen“, sagt der Heilige Hieronymus (KKK 133). Welche Freude ist es, wenn Christus uns im Evangelium aufleuchtet! Aber diese Freude wird erst richtig spürbar beim nächsten Schritt: Jesus scheint weitergehen zu wollen, als der unerkannte Fremde, der die beiden begleitet hat. Ihre Gastfreundschaft hält ihn fest. Sie laden ihn ein, zu bleiben. Welches Vorbild für uns: dass wir durch die Gastfreundschaft für die Begegnung mit Christus bereit werden. Nicht umsonst zählt die Gastfreundschaft zu den leiblichen Werken der Barmherzigkeit. „Seid barmherzig wie euer himmlischer Vater barmherzig ist“. Weil die beiden Jünger die Gastfreundschaft praktiziert haben, können sie dem auferstandenen Herrn begegnen. Wie oft durften wir die Nähe des Herrn erfahren, wenn wir die schlichten Werke der Barmherzigkeit gelebt und praktiziert haben! Die „Erfolgsgeschichte“ des Christentums ist nicht die Geschichte militärischer oder politischer Triumphe, sondern der „Siegeszug“ der gelebten Barmherzigkeit. Sie allein überzeugt. Worte können schön klingen, aber sie sind eben Worte. Aber Taten der Barmherzigkeit sind unwidersprechlich. Und nach ihnen werden wir einmal gerichtet werden (vgl. Mt 25). Was aber den Jüngern wirklich die Augen geöffnet hat, war etwas Anderes. Die „Exegese“ Jesu auf dem ganzen Weg hat ihr Herz vorbereitet. Die Gastfreundschaft, die sie dem Fremden erwiesen, hat ihr Herz geöffnet. Jetzt aber, beim Mahl, geschieht etwas, das ihr Herz verwandelt: Als der Fremde das Brot nahm, den Segen sprach, es brach und ihnen gab, da gingen ihnen die Augen auf. Sie erkannten ihn “am Brotbrechen“, an der Geste des Abendmahlsaales. Sie erkannten IHN. Denn in dieser Stunde lag mehr als ein Symbol, als eine symbolische Handlung. Im Brechen des Brotes schenkte Er sich ihnen selber. Sie empfingen Ihn selber. Das war der Schlüssel für das Verständnis, das ihnen noch gefehlt hatte. Sein Werk war nicht der politische Sieg, nicht die militärische Macht, sondern die Hingabe seines Lebens. Jesus schenkt sich ihnen im Brotbrechen. Sie empfangen Ihn selber. Fortan wird er mit ihnen bleiben, alle Tage, Er selber, in der Hingabe seines Lebens für sie, in der Eucharistie. Trotz aller Enttäuschung, trotz ihrer Untreue und ihres Unverständnisses hat Er sich ihnen gezeigt und geschenkt. Seine Barmherzigkeit hat ihre Herzen erreicht und geöffnet und verwandelt. Von jetzt an können sie Zeugen seiner Barmherzigkeit sein. Jetzt können sie mit brennendem Herzen aufbrechen und den anderen das Zeugnis vom auferstandenen Herrn bringen. In dieser Heiligen Eucharistie kommt der Herr wieder zu uns. Mögen auch wir, nach diesen gesegneten Tagen des Kongresses, die uns hier in Rom geschenkt waren, mit brennenden Herzen aufbrechen, um überall, wohin der Herr uns sendet, Zeugen seiner unermesslichen Barmherzigkeit sein. Amen.
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