Predigt von Kardinal Schönborn: Lieber Bischof Paul, liebe Priester, liebe Schwester Elvira, geistliche Schwestern, liebe Brüder und Schwestern! Ich darf nicht vergessen, dass heute das Fest des heiligen Padre Pio ist. Deshalb bitten wir ihn heute um eine ganz besondere Unterstützung und Hilfe für die Gemeinschaft Cenacolo. „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ Eine wunderbare Botschaft! Gott möchte, dass alle Menschen gerettet werden. Alle die wir hier sind, ohne Ausnahme! Aber muss ich überhaupt gerettet werden? Ich bin doch in Ordnung! Ich bin doch … es geht mir doch nicht so schlecht! Sicher gibt es viele Jugendliche, von den Drogen gerettet werden müssen, Alkoholiker vom Alkohol, Spielsüchtige von der Spielsucht. Natürlich gibt es viele Menschen, die erlöst werden müssen. Aber wir … wieso brauchen wir eine Rettung? Ist es wirklich so ernst, dass es ohne Rettung gar nicht geht? Schwierigkeiten … das krieg ich hin, Probleme … die kann ich lösen … und schließlich kommen wir doch alle in den Himmel: Wir sind doch so brav! Andere brauchen Rettung … ich nicht. Ich glaube wir, haben noch nicht ermessen, was alles in unserem Herzen steckt. Wir haben noch nicht ermessen, welche Abgründe in unserem Herzen sind. Ich erinnere mich ans Jahr 1966, da war ich 21 Jahre alt, ein ganz junger Vikar. Da bin ich zum ersten Mal der Welt der Alkoholiker begegnet. Diese Erfahrung hat mich tief erschüttert: Eine Zwangsheilanstalt, das gab es damals in Deutschland. Wie ein Gefängnis! Dort bin ich zum ersten Mal den anonymen Alkoholikern begegnet. Viele von Ihnen kennen die 12 Schritte der Anonymen Alkoholiker. Das ist ein wunderbares Dokument, aus dem jeder von uns sehr viel lernen kann. Und der erste Schritt dieser 12 Schritte der Rettung aus der Hölle des Alkohols ist: Ich kann mich selber nicht retten! Ich kann mich nicht selber retten! Das ist der erste Schritt. Und ich kann mich gut erinnern, wie mir Freunde der anonymen Alkoholikern gesagt haben: „Solange jemand diesen ersten Schritt nicht getan hat, dann kommt er aus seiner Alkoholsucht nicht heraus.“ Ich kann mich nicht alleine retten! Und damals ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass dies nicht nur für Alkoholiker gilt. Das gilt für jeden von uns! Keiner kann sich selber retten! Steht es wirklich so ernst um uns? Sind wir wirklich so gefährdet? Brüder und Schwestern: ich glaube, dass wir erst entdecken werden, wie ernst es um uns steht , wenn wir Jesus begegnen. Erst wenn wir dem begegnen, der uns sagt: „Ich bin dein Retter!“ – erkennen wir, wie tief unser Bedürfnis nach Erlösung, nach Heil, nach Rettung ist. Nach Heilung! Solange wir seiner Liebe nicht begegnet sind, glauben wir, wir kommen alleine durch. Und irgendwie wird sich dies immer klappen. Irgendwie werden wir es schon schaffen. Irgendwie werden wir das selbst hinkriegen. Dann irgendwann begegnen wir dem, der uns sagt: „Ich bin deine Rettung, ich bin deine Heilung!“ Erst in dem Augenblick, in dem man Ihn begegnet, begreift man, dass man wirklich einen Heiland braucht und dass es Ihn gibt: Dass Er wirklich mein Retter ist!
Wie muss das für Paulus gewesen sein? Ich freue mich übrigens sehr darauf, dass der Heilige Vater ein Paulus-Jahr für nächstes Jahr ausgerufen hat. Da werden wir ein ganzes Jahr intensivst dem Apostel Paulus nachfolgen und ihn ergründen. Paulus, der so ein eifriger Mensch war und der geglaubt hat, er kann sich mit seinen guten Taten selber retten. Bis er dem begegnet ist, von dem er sagt: „Er, der Sohn Gottes, hat mich geliebt und sich für mich hingegeben“. Als er das begriffen hat, hat er auch verstanden, dass er sich nie alleine retten kann.
Meine Lieben, lasst mich ein kurz in 3 Punkten erläutern, was es heißt, dass wir alle einen Retter brauchen! Keiner von uns kommt ans Ziel, ohne dass unser Herr Heiland Jesus Christus sein Retter ist. Das bedeutet, dass wir alle etwas Wesentliches gemeinsam haben: Wir alle brauchen Erlösung und vor allem Heil. Nicht nur ihr, die ihr aus der Droge gerettet worden seid. Wir alle! Wer rettet uns aus der Sünde? Wer rettet uns aus dem Gefängnis unseres „Ich“? Aus meinen immer wieder und immer neu erlebten Verstrickungen und Verquerrungen und Schwierigkeiten? Wer ist mein Retter, wenn nicht Du? Aber daraus folgt ein ganz wichtiger zweiter Punkt. Wenn das so ist, dann ist der Arme, der sichtbar Rettung braucht, wirklich mein Bruder und meine Schwester. Dann kann ich von dem, der Rettung braucht, nicht wegschauen und sagen: Du bist ein Verlorener und ich nicht. Nein, der Arme ist mein Bruder, ist meine Schwester. Der Prophet Amos, dessen gewaltige Worte wir in der ersten Lesung gehört haben, erinnert uns daran: Der Arme ist nicht ein Objekt, mit dem die Reichen Geschäfte machen können. Ob das nun Drogenhändler sind, oder ob es Menschen sind, die Wehrlose ausnutzen und erpressen. Nein, der Arme ist mein Bruder, meine Schwester, nicht etwa eine Ware oder ein Objekt. Die Botschaft des Propheten Amos ist klar: Der Herr rettet den Armen und der, der den Armen unterdrückt und ausbeutet, der mag vielleicht in dieser Welt reich sein, doch vor Gott ist er verloren und zutiefst gefährdet. Wer den Armen unterdrückt, ist in großer Gefahr, selbst verloren zu gehen. Gott vergisst den Armen nicht. Und ein Drittes: Keiner kann alleine gerettet werden. Wir alle dürsten nach Rettung. Aber keiner kommt alleine ans Ziel. Schließt Freundschaft mit dem ungerechten Mammon, sagt Jesus. Macht euch Freunde, ihr werdet sie brauchen, und wir brauchen sie. Wir brauchen Brüder und Schwestern, wir brauchen die Gemeinschaft. Wir können nicht alleine gerettet werden. Wir brauchen die Gemeinschaft der Kirche. Erinnert euch an den ungerechten Verwalter, der weiß, „mit ihm kann ich nicht, schwere Arbeit schaffe ich nicht“: Liebe Freunde, Jesus lobt diesen Betrüger. Nicht etwa, weil er betrogen hat, sondern weil er verstanden hat, dass es nicht alleine geht. Du brauchst Freunde. Jesus stiftet Freundschaft. Jesus stiftet Gemeinschaft. Und ich bin sicher, ihr aus der Gemeinschaft Cenacolo könnt darüber sehr viel erzählen. Jesus macht Freunde aus uns. Und die Kirche ist die wunderbare Erfahrung, dass Jesus unter uns Freundschaft schließt. Dass wir nicht mehr alleine sind, dass wir Gemeinschaft haben. Jetzt muss ich noch zum Abschluss zwei kleine Beobachtungen nachschieben. Paulus sagt: „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden“ und fügt hinzu: „und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“ Was heißt das? Ohne Wahrheit gibt es keine Rettung. In der Lüge kann keiner gerettet werden - wenn wir nicht die Wahrheit über uns selber zulassen, wenn wir nicht aufhören, vor uns selbst Schauspieler zu sein. Ihr wisst es, Ihr habt es erlebt: die Droge ist kein Weg, sondern eine Lüge. Porno ist kein Weg, es ist eine Lüge. Die Dinge beim Namen nennen, die Wahrheit wird euch frei machen, hat Jesus gesagt. Lassen wir uns nicht betrügen, und betrügen wir uns nicht selber. Die Erkenntnis der Wahrheit heißt auch zu erkennen, wie wunderbar diese grundlegende Wahrheit ist: Du bist geliebt, du bist nicht verachtet, du bist nicht wertlos. Selbst wenn du dich verachtest, selbst wenn du dich für den letzten Dreck hältst, du bist geliebt: auch das ist Wahrheit. Die Erkenntnis der Wahrheit heißt: Jesus ist dein Freund, dein Retter und rein gar nichts kann dich von seiner Liebe trennen. Du musst ihm nur vertrauen! Jetzt eine allerletzte kleine Beobachtung. Jesus sagt: „Wer in Kleinem zuverlässig ist, dem wird Großes anvertraut.“ Die Rettung durch Jesus beginnt immer mit ganz Kleinem. Leider beginnt auch das Böse mit ganz kleinen Schritten. Wer im Kleinen untreu ist, der wird es auch im Großen sein. Das Übel beginnt immer mit kleinen Schritten. Doch auch die Rettung beginnt mit kleinen Schritten. Es sind diese kleinen Schritte des Guten, die uns stärken, einen weiteren Schritt des Guten zu gehen; die uns Mut machen und Freude schenken, weil wir merken: Das tut dir gut, diesen guten Schritt zu gehen. Die kleinen Schritte der Rettung sind die kleinen Schritte der Liebe. Die Rettung geschieht – so hoffen wir – für uns alle, wenn wir einmal vor dem Richter stehen und Christus sehen. Die ewige Rettung- sie beginnt jetzt, in kleinen Schritten, heute. Und es ist wunderbar, die Rettung von heute zu erfahren. Liebe Schwester Elvira, anlässlich der 10-Jahresfeier der Gemeinschaft Cenacolo in Österreich, im Burgenland, in Kleinfrauenhaid, möchte ich Ihnen danken. Auch bei Ihnen hat es mit kleinen Schritt begonnen. Sie haben einfach nicht den Blick vom Elend vor ihrer Tür abgewendet. Und aus dem kleinen, kleinen ersten Schritt sind viele wunderbare weitere Schritte geworden. Gott möge dies belohnen.
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